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Reich konnte ich damit nicht werden, das verhinderte allein schon die progressive Steuer. Aber in der DDR gab es selten eine Tätigkeit, bei der einem niemand reinquatschte. Selbst- verständlich musste ich meinen Auftrag erfüllen, aber hier war keiner da, der sagte, mach dies, mach das und so weiter und so fort.

 

Freischaffend

Ich habe unter anderem auch Aufnahmen gemacht für RFT (Rundfunk und Fernmeldetechnik). Da sagte mir der dortige Werbechef: „Ich arbeite am liebsten mit Freischaffenden.“ Warum? Der war auch in der SED, war auch Funktionär. Ja, der wusste warum, denn ein Freiberuflicher konnte sich nicht erlauben zu sagen: „Och, mir tut heute alles weh, ich kann gar nicht kommen.“ Oder: „Die Frau kann die Kinder nicht in den Kindergarten schaffen, das muss ich machen...“ – Das ging nicht.

Alle Aufnahmen sind mit der Pentacon Six gemacht worden. Das ist eine 6x6 Spiegelreflexkamera, eine Mittelformatkamera, die einzige dieser Art, die es in der DDR gab. Fotografiert wurde in der DDR bei SW mit dem ORWO NP 27, das entsprach 400 ISO. Die Farbfilme waren bedeutend weniger empfindlich. Für Reportageaufnahmen waren die wenig empfindlichen Filme eine Herausforderung. Es bedeutete, dass ich eine Belichtungszeit von _ bis zu 1 Sekunde bei offener Blende brauchte. Die abzubilden- den Personen mussten eine relativ lange Zeit in natürlicher Stellung und Gesichtsausdruck verharren. Mit den Personen habe ich Klartext gesprochen. Ich sagte ich habe eine Belichtungszeit, welche relativ lang ist und sie haben sicher schon Zeitlupenaufnahmen gesehen. Ähnlich werden wir es machen und ich suche mir den Moment heraus, wenn sie still sitzen und einen natürlichen Gesichtsaus- druck haben. Das haben wir ein paar Mal geprobt und dann musste das eben sitzen.Auftraggeber

Ich war immer darum bemüht, ohne irgendwelche Regie auszukommen. Allerdings musste man versuchen den Arbeitsplatz in einem aufgeräumten Zustand abzubilden, ohne etwas hinzubasteln. Denn mitunter sah es in den Betrieben, was Ordnung und Sauberkeit betraf schlimm aus. Es ist so, ich wusste was meine Auftraggeber wollten und was sie nicht wollten. Man wollte sich damit brüsten, schaut mal wie schön alles bei uns ist. Es wurden nur Aufnahmen angekauft, die verwendet werden konnten. Wenn ich nicht darauf geachtet hätte, hätte ich von meinem Auftraggeber kaum weitere Aufträge erwarten können.

Ich wusste genau, alle wussten es, dass überall in den Betrieben die so genannten „Friedensecken“ mit zum Teil großen Plakaten gestaltet waren. Ich wusste aber genauso gut, dass diese Plakate auf der Messe nicht gezeigt werden sollten, da sie nicht immer „künstlerisch wertvoll“ waren. Jetzt konnte ich ja aber auch nicht sagen: „Im Westen ist alles viel schöner aufzunehmen.“ Solche Mätzchen konnte ich mir nicht erlauben. Ich habe gesagt: „Hören Sie mal, wir wollen die Größten sein und die wollen wir auch bleiben. Und wir können uns nicht erlauben, dass wir Sachen darstellen, mit denen der Klassenfeind uns lächerlich macht. Das geht nicht.“

 

Wiederholung, Mangelwirtschaft

Ich habe einmal in Ruhla bei Fahrzeugelektrik eine hochinteressante Aufnahme gemacht mit einem jungen Mädchen im Hintergrund. Es handelte sich um eine Fahrradbeleuchtungsproduktion. Bei der Innenverspiegelung in der großen Trommel schaute das junge Mädchen von hinten in die Trommel und hantierte dort. Ich war froh darüber, dass ich – optisch gesehen – eine wirkungsvolle Aufnahme gemacht hatte. Kaum war ich zu Hause, erreichte mich ein Anruf, dass die Aufnahme wiederholt werden müsse, da dieses Mädchen in den Westen abgehauen war. Natürlich konnte sie dann nicht mehr auf der Messe ausgestellt werden.

Ein Schlüsselerlebnis im Jahre 1967 werde ich nicht vergessen. Bei der Standabnahme durch Generaldirektor Schneider – damals war ich noch nicht bekannt – stand ich in der dritten oder vierten Reihe. Im Hintergrund war ein etwa drei Meter hohes und fünf Meter breites SW-Foto von mir von einem Produktions- band im Werk Zella-Mehlis. Da sagte der Generaldirektor: „Das muss doch ein Fotograf sehen, dass da oben bloß die Hälfte der Leuchten brennen.“ Selbstverständlich hatte ich das gesehen, doch aufgrund von Sparmaßnahmen wurde in den Betrieben ein Teil der Starterklappen der Neonleuchten herausgenommen und weggeschlossen. Für mich, der ohne Blitz arbeitete, ein zusätzliches Erschwernis. Von diesem Zeitpunkt an habe ich mir gesagt: „Das wird dir nicht noch einmal passieren.“ Denn bei allen Aufnahmen in den Betrieben, war irgendetwas nicht in Ordnung – hier waren es die Leuchten, ein andermal dies und jenes. Ich wusste, ohne Abänderung der Mängel konnte das Motiv einfach nicht verwendet werden.

Bei jeder Messe wurde der Stand abgenommen, also durchgesehen, ob alles in Ordnung war. Das geschah erstmal logischer- weise durch die, die ihn aufgebaut hatten. Dann folgte die Standabnahme durch den Generaldirektor und zwei Tage später durch den Minister. Wenn irgendwas dort nicht hinhaute, politisch verkehrt war oder wie auch immer, dann wurde es schnellstens geändert. Da war eine Aufnahme von einem Innenraum. Dort stand ein Tisch mit einer Schüssel mit Apfelsinen. Da kam der Generaldirektor und sagte: „Moment mal, da gibt’s bloß Diskussionen darüber“ – weil es ja keine Apfelsinen gab. „Die Aufnahme kommt weg.“ – Da musste die Aufnahme, die bestimmt 3.000 bis 5.000 Mark kostete, neu gemacht werden.

 

Ein Grill

Wir haben in der DDR kaum Reklame gemacht. Warum, wieso? Mit einer Ausnahme. Das war ein Grill. Ich wurde hinge- schickt, um eine Aufnahme zu machen mit der Assoziation, hier wird schon seit Monaten Tag und Nacht produziert. Na gut, das wird in anderen Ländern auch gemacht. Die Aufnahmen wurden in Schweden und noch in einem anderen Land für dortige Messen verwendet.

Man hatte für diese Geräte auch gewisse finanzielle Vorstellungen. Dieser Grill, wenn er überhaupt im Laden war, sollte dann etwas über 1000 Ostmark kosten und für 200 bis 220 Westmark in den Westen exportiert werden. Durch Zufall hörte ich ein Gespräch mit einem Einkäufer aus dem Westen, der sagte: „Der Grill ist nicht schlecht, aber der hat keinen Namen bei uns. Wir können nicht mehr als 40 Mark zahlen.“ Das war natürlich gegen alle Erwartungen. Die inzwischen laufende Produktion wurde dann von den Russen mit den üblichen Tauschgeschäften übernommen und im Westen veräußert – gegen Westmark.

Kamera: Fabian Bechtle, Filipa César,
Armin Linke
Schnitt: Fabian Bechtle
Ton: Estelle Blaschke, Doreen Mende

2012, Monitorpräsentation mit
Kopfhörern
15:00 min
© PRODUZIEREN 2012