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1976 nahmen Äthiopien und die DDR diplomatische Beziehungen auf. Die Zusammenarbeit zwischen der DDR und Äthiopien begann zu einer Zeit, als in Äthiopien eine neue Regierung die Macht übernommen hatte. Die DDR war die erste sozialistische Regierung, die sich mit der äthiopischen Militärregierung, die sich sozialistisch orientieren wollte, stark engagiert hat. Das Engagement war jedoch ziemlich einseitig – Politik, Wirtschaft, Kultur, Erziehungswesen. Die Sowjetunion war etwas zögerlich aufgrund ihrer Präsenz in Somalia, aber sie war wie die DDR durch ein politisches Mitglied in Afrika vertreten.

In dieser Situation wurde Äthiopien 1977 von Somalia aus überfallen. Die äthiopische Regierung versuchte damals, Hilfe aus China zu bekommen, was jedoch scheiterte. Auch die USA und andere westliche Länder halfen nicht. Da kam die DDR. Werner Lamberz, der Vertreter der DDR-Regierung, besuchte Äthiopien und erkannte, dass die DDR Äthiopien unterstützen und die äthiopische Revolution retten konnte. Im März 1977 gab die DDR Soforthilfe und militärische Hilfe. Die DDR konnte zwar auch nicht alles tun, aber sie überzeugte die Sowjetunion und die Kubaner, dass man einen afrikanischen Staat, der sich sozialistisch orientierte, retten müsse. Die militärische Seite wurde dann durch Kuba und die Sowjetunion übernommen. Die DDR engagierte sich in Äthiopien fortan stark politisch, wirtschaftlich und kulturell. Es gibt auch Behauptungen, dass die DDR sehr stark am Training des äthiopischen Sicherheitsdienstes beteiligt war; mehr als andere Länder. Ich habe versucht, Informationen über die Sicherheitszusammenarbeit zwischen Äthiopien und der DDR zu bekommen, aber die Quellen sind heute nicht zugänglich für uns.

In den 1980er Jahren verstärkten sich die Beziehungen zwischen Äthiopien und der DDR. Es gingen viele DDR-Produkte in die äthiopischen Märkte. Und äthiopische Produkte gingen auch in die DDR – bis 1989.

 

Handel

Kaffee war ein sehr wichtiges Exportmittel von Äthiopien, wie auch andere landwirtschaftliche Produkte – meist Lederprodukte von äthiopischen Lederfabriken, zum Beispiel Damentaschen. Durch die Leipziger Messe wurden diese auf dem Markt in der DDR bekannt. Die Reklame auf der Messe wurde von Äthiopiern gemacht, aber von DDR- Experten unterstützt. Wir bezahlten nichts für die Stände, denn die DDR übernahm diese Kosten – bis etwa kurz vor 1989, als die DDR dazu nicht mehr imstande war. Die DDR war auch am äthiopischen Markt interessiert

– als Absatzmarkt. Es gab enorm viele DDR-Firmen, die sich hier in Äthiopien engagierten. Äthiopien kaufte eine Vielzahl von landwirtschaftlichen Geräten von der DDR und führte sehr viele Lastwagen für das Militär aus der DDR ein. Zum Beispiel entstand auch eine große Zementfabrik, Muger Cement, hier durch die DDR.

Die fehlenden Devisen erschwerten die Lage beider Länder beträchtlich. Die DDR und Äthiopien hatten jeweils nicht viele Devisen. Deshalb war der Austausch Ware für Ware ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor für beide. Äthiopien lieferte landwirtschaftliche Waren und die DDR lieferte Industriewaren. Die DDR war natürlich an Kaffee interessiert, jedoch wollte Äthiopien den Kaffee für Devisen exportieren. Äthiopien war ziemlich abhängig vom Kaffeeexport. Die DDR war wiederum interessiert, dass Äthiopien Kaffee gegen Waren und nicht gegen Devisen austauschte. Das wurde zum Streitpunkt zwischen beiden Ländern. Später lehnte Äthiopien dann ab, Kaffee gegen andere Produkte zu tauschen, weil Äthiopien den Kaffee auch verkaufte, um Devisen zu bekommen.

Äthiopien pflegte generell rege wirtschaftliche Beziehungen. Zum Beispiel die Handelsbeziehungen zwischen der Bundesre- publik und den äthiopischen Firmen wurde damals kaum gestört – trotz der politischen Missstimmungen zwischen den beiden deutschen Ländern. Auch gingen Studenten nach Westdeutschland. Die DDR vergab sehr viele Stipendien an Äthiopien und so studierten viele Äthiopier in der DDR. Pro Jahr waren nicht weniger als 500 in der DDR; auch äthiopische Hochschullehrer wurden in der DDR ausgebildet. Die Gondar Universität in Äthiopien wurde von der DDR zwischen 1984 und 1990 mit aufgebaut und etwa 154 DDR-Lehrkräfte unterrichteten hier; hauptsächlich Medizin. Über 500 Ärzte wurden in diesen Jahren dort ausgebildet, aber auch in Leipzig, damals an der Karl-Marx-Universität.

 

Sozialismus

In Äthiopien wurde versucht, zwischen 1976 bis 1990 eine Art von Sozialismus aufzubauen. Man sah die DDR als entwickeltes sozialistisches Modell an, aber es waren eigentlich verschiedene Auffassungen, wie man Sozialismus verstand – es gab u.a. die sowjetische Richtung und natürlich die chinesische Richtung des Sozialismus. Die DDR versuchte durch die Bildung einer Partei in Äthiopien, durch Ausbildung der sozialistischen Kader hier und in der DDR, den äthiopischen Sozialismus zu beeinflussen. Das war das politische Interesse der DDR. Ob das in Äthiopien gelungen ist, muss man noch bewerten.

Davor, in den 1960er Jahren, wurde die äthiopische Jugend und Intelligenz meist in Frank- reich, England oder in Amerika ausgebildet, aber wenig in Osteuropa. Sie waren stark vom deutschen Humanismus beeinflusst, wie ihn Karl Marx und Friedrich Engels vertreten haben. Die Äthiopier suchten eine Alternative für ihre politische Zukunft. Sie waren gegen die äthiopische Feudalstruktur. Wir hatten mit dem Kaiser Tewodros ein Vorbild in Äthiopien, das Mitte des 19. Jahrhunderts die Feudalherrschaft durch Gewalt abschaffen und ein modernes Äthiopien aufbauen wollte. Aber leider hatte man von ihm nur sein Heldentum übernommen. Eine Struktur, ein politisches Modell, suchte man noch. Es gab verschiedene Richtungen und das war das Problem für die äthiopische Jugend, wenn man die Situation von heute aus betrachtet. Eine Gruppe ging in Richtung des Modells, wie es in Vietnam oder in China praktiziert wurde. Andere tendierten zum Modell von Che Guevara, aber auch afrikanische Freiheitskämpfer und die südamerikanische Linke waren wichtig. Nur wenige Äthiopier waren am sozialistischen Modell von Osteuropa bzw. der Sowjetunion interessiert. Aber nach der Machtübernahme suchte auch die äthiopische Militärregierung ein für sich geeignetes Modell. Sie suchte militärische Unterstützung. Seit den 1950er Jahren war die Armee von den USA ausgebildet worden, aber diese war durch die sozialistische Revolution verstimmt. So war Äthiopien gezwungen, die DDR und die Sowjetunion zu Hilfe zu rufen.

Natürlich drängten die DDR und die Sowjetunion die äthiopische Regierung in Richtung eines osteuropäischen Modells, das im Land zum Teil eine gewisse Anhängerschaft hatte. Zum großen Teil war die Bevölkerung jedoch verstimmt. Es gab viele Aufstände. Dazu kamen viele Natur- und Hungerkatastrophen, aufständische Zersetzungskräfte vom Norden und der Krieg mit Somalia. In dieser Situation konnte der Aufbau eines humanistischen Sozialismus, von dem die Jugend der 1960er Jahre geträumt hatte, nicht stattfinden. Sie konnten ihren Traum nicht verwirklichen und ließen nur Waffen sprechen. Das muss man heute kritisch evaluieren und von dieser Geschichte lernen.

 

Antikoloniale Bewegung

Bis auf die fünfjährige italienische Besatzung (1936–41) war Äthiopien unabhängig und darin auch eine Besonderheit, wurde jedoch von den antikolonialen Bewegungen in Afrika natürlich stark beeinflusst. Der Freiheitskampf in vielen afrikanischen Ländern machte die äthiopische Jugend bewusster für ihre eigene Situation. Sie betrachteten sich in den 1950er und 60er Jahren zwar als unabhängiges Land, waren aber mehr zurück- geblieben als die kolonialisierten Länder in Afrika. Was sollten wir tun? Die Missstände und die Unterentwicklung empfand man als Folge der Unterdrückung durch den äthiopischen Kaiser und dessen Staatsstrukturen und wollte das abschaffen. Man kämpfte hier in Äthiopien also nicht für eine Befreiung von einer fremden Macht, sondern für die Befreiung von der eigenen Macht. Es ist einfacher gegen eine ausländische Macht zu kämpfen als gegen den eigenen Staat.

Hier in Ostafrika hat sich über die Jahrhunderte hinweg ein Staatsgebilde entwickelt. Die äthiopische Staatsstruktur hat mehr als 2.000 Jahre Geschichte. Zu Anfang des Christentums war Äthiopien ein Königreich. Dessen Staatsstruktur hat sich vom Norden nach Süden erweitert. Durch den Kaiser gab es traditionell eine starke militärische Struktur, angeführt von Königen. Diese Struktur wird durch zwei wichtige Institutionen unterstützt: Eine ist die Landwirtschaft, die im äthiopischen Hochland stark entwickelt ist. Durch den Acker- bau konnte sich eine starke feudale Armee ausbauen. Ein anderer Faktor war eine stark zentralisierte christliche Kirche seit dem 4. Jahrhundert. Kirche und Staat. Diese Struktur hat sich nach Süden und auf dem äthiopischen Hochland ausgebreitet.

Als die europäischen Kolonialmächte kamen, trafen sie hier eine starke Kraft an. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg wollten England, Frankreich und Italien Äthiopien unter sich aufteilen. Gerade damals hatten wir auch Auseinandersetzungen innerhalb Äthiopiens. Am Ende könnte man jedoch ironischerweise sagen, dass der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu Konfrontationen innerhalb Europas führte, die unsere Unabhängigkeit schließlich retteten. Kurz vor dem Zweiten Weltkrieg 1936 überfiel dann Italien Äthiopien. Aber aufgrund des Zweiten Weltkriegs musste Italien Äthiopien dann 1941 wieder verlassen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wollte Großbritannien Äthiopien nicht als unabhängiges Land anerkennen. England hatte so viele afrikanische Kolonien, und Äthiopien verkörperte ein schlechtes Beispiel für Afrika. Die USA und andere Länder unterstützen aber den Kaiser darin, dass Äthiopien ein unabhängiges Land sein sollte.

 

Bild

Die DDR versuchte, in Äthiopien Filme über die Arbeiterbewegung, über Fabriken und Paraden in der DDR zu verbreiten, die zur Ausbildung der Kader im äthiopischen Fernsehen liefen. Die DDR wollte sich als idealer Arbeiter- und Bauernstaat vorstellen. Und die äthiopischen Medien über- nahmen und verbreiteten das im Lande – durch Schrift und Bild. Dabei waren Film und Fotografie hier zentral durch das Ministerium für Information geregelt, die Propagandafilme und -fotos machten. Es gab viele Kameraleute und Filmmannschaften, die für den Staat arbeiteten, und auch eine Parteizeitung, die Serto Ader – „Der Arbeiter“ – hieß. Auch das Parteibüro hatte seine eigene Film- und Fotoproduktion. Die DDR arbeitete mit der Partei und dem Informationsministerium zusammen.

Auch der Austausch zwischen Kunsthochschulen in Deutschland und Äthiopien war sehr stark. Sehr viele äthiopische Künstler wurden in Deutschland ausgebildet. Die DDR versuchte, die äthiopische Kunst in Richtung des sozialistischen Realismus zu orientieren. Sie haben dieses Museum (NAME) gesehen. Aber zum Beispiel Gebre Kristos Desta wurde in Köln an der Kunsthoch- schule ausgebildet. Abdul Rah-man Shariff ist ein anderer; er studierte in Berlin. Auch gab es Ausstellungen von äthiopischenKünstlern in Deutschland, zum Beispiel Afewerk Tekle in Bonn. In Äthiopien gab es Ausstellungen von DDR-Künstlern. Wir hatten hier eine Art School, eine Kunsthochschule.

Heute wäre für mich ein wichtiges Thema: Wie können wir eine humanistische Gesellschaft aufbauen? Wir haben es im 20. Jahrhundert eigentlich nicht geschafft. Durch die Globalisierung wird die Welt ein kleines Dorf, sagt man. Aber wie kann dieses kleine Dorf human sein? Ich weiß nicht, ob wir den Humanismus der Klassikern noch einmal lesen und neu interpretieren sollten. Hoffentlich werden wir es schaffen. – Vielleicht nicht in unserer Generation, aber die kommende Generation wird eine humanistische Gesellschaft aufbauen.

Kamera: Armin Linke
Schnitt: Fabian Bechtle
Ton: Margret Köll

2012, Monitorpräsentation mit
Kopfhörern
7:00 min
© PRODUZIEREN 2012